Die Steppe im Wald

Ania Gleich

Elena Kristofor ist ein Kind der Steppe, doch sucht im Wald einen Ort für ihre Sehnsucht. Die Arbeiten der Wiener Künstlerin porträtieren die Spannung zwischen Nähe und Weite, doch versöhnen sie gleichzeitig. Ein Blick, der zwischen Vertikalität und dem Horizont verläuft.

Elena Kristofor kommt aus der ukrainischen Steppe um Odesa und findet in Österreich weder Meer noch die vertraute Weite. Dennoch stapft die in der Fotografie beheimatete Künstlerin seit zwei Jahren in den Wald, um sich mit dem für sie Unbekannten zu konfrontieren und von ihm überfordern zu lassen. Es gilt den »gewohnten« Blickwinkel mit der Fremde zu vereinen.

Ihr »Steppen-Blick« bringt dabei Ruhe in die für sie unbekannte Vegetation: Eine Verkettung von Gefühlen, die gleichzeitig neugierig macht und Rätsel aufwirft.

Der vertikale Horizont

Was bedingt es, dass wir an manchen Orten intuitiv ein Gefühl von Freiheit generieren? Diese Frage lässt sich auf einfache Umweltfaktoren herunterbrechen. Allerdings sind diese Gefühle auf instinktiver Ebene am besten durch unseren Gewohnheitshorizont zu erklären. So wird ein »Stadtkind« womöglich nie gänzlich die Ruhe in der Weite »am Land« begreifen und umgekehrt. Diese Dualität ist für Kristofor bezeichnend: Sie nennt sich selbst ein »Steppenkind« und erkennt die Weite als ihre visuelle »baseline« an. Mit ihrem »Steppen-Blick« will sie aber nicht das ihr Bekannte erforschen, sondern sich das Unverständliche näherbringen. Konkret ist das der Wald, dem sie die Steppe als Kontrapunkt entgegensetzt. Diese visuelle Polarisierung legt die Künstlerin wie ein Sujet über ihre installativen wie fotografischen Arbeiten: »Da ist immer eine Spannung zwischen der Vertikalität der Bäume und der Horizontalität der Steppe«. Die Horizontlinien ziehen sich dabei wortwörtlich wie ein roter Faden durch ihre vertikalen Wald-Arbeiten. Doch was finden wir, wenn wir uns auf die Polarität zwischen Wald und Steppe konzentrieren?

»Ich finde es spannender, mich mit etwas zu beschäftigen, das mich herausfordert oder überfordert, geradezu anstrengend für mich ist. Dort dann Ruhe zu finden oder zu schauen, wer ich in diesem Ganzen bin und wie ich mich verändere, wenn ich mich damit auseinandersetze: Das interessiert mich.« Elena Kristofor setzt sich bewusst mit einem Gefühl auseinander, das unseren Zeitgeist mitbestimmt und bricht es auf einfache Paradigmen herunter: Die Einsamkeit in der Eingebundenheit. Die Nähe in der Ferne. Das Verlorensein in der Enge. All das spiegelt sich für Kristofor in der Spannung zwischen Wald und Steppe wider und war für ihr Aufwachsen prägend: »In der Steppe fühle ich mich existent. Dass ich einfach bin. Es ist dieses Herausragen und Da-Sein. Das habe ich im Wald nicht. Dort habe ich das Gefühl, mich aufzulösen und meine Eigenständigkeit zu verlieren.«  Kristofor beschreibt damit ein Verhältnis zur Welt, in dem wir uns in den letzten Jahren verstärkt wahrnehmen. Es sind die Allverfügbarkeit von Informationen, der virtuelle Dialog und die stärker werdende Individuation, die uns eine Scheinnähe mit der Welt suggerieren. Ohne es zu wollen »atmet« Kristofor mit ihrer Beziehung zum Wald ein, wofür uns manchmal die Luft fehlt: In der ständigen Diskrepanz zwischen Eingebundenheit und Alleinsein auch einen Raum der Ruhe zu finden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Künstlerin ihre Ideen oft mit der Atmung in Verbindung setzt. Nichts, so Kristofor, sei intimer als sich eine Atmung zu teilen und das passiere im Wald völlig selbstverständlich und ohne gefragt zu werden. Man werde »aufgesaugt« von diesem »Wesen Wald« und kann sich ihm nicht entziehen.

In ekstatischer Langsamkeit

Elena Kristofor hat nach einem absolvierten Architekturstudium an der TU Wien beschlossen, ihren eigentlichen Traum der Fotografie mit einem Studium für »Kunst und Fotografie« an der Akademie der Bildenden Künste zu vertiefen. Dort fokussierte sie die Arbeit mit analogen Großformatkamera, die den Arbeitsethos der Langsamkeit auch in ihren Installations-Arbeiten maßgeblich mitbestimmt: »Allein, um die Kamera einzustellen, sie aufzubauen, das Bild zu finden. Und dann erst kommt der entscheidende Moment des Auslösens, in dem ich das Bild nicht mehr sehe. Da muss ich kurz die Kontrolle abgeben und hoffen, dass das Bild genau so ist, wie ich es davor hatte.« Am Ende der Langsamkeit stecke also auch immer ein Aspekt der Überraschung, der einen »ekstatischen Moment« markiere. Natürlich kann die Fotografie nicht 1:1 mit der Arbeit im Wald verglichen werden, dennoch geht es immer um eine Ordnung des Raumes: Es geht »auch um das Gefühl, das ich im Wald empfinde oder dort vermisse: das Steppen-Gefühl, das mir fehlt, in den Wald zu bringen und mir durch dieses den Wald anzueignen.«

Elena Kristofor lädt mit ihren Arbeiten ein, sich mit einem Gefühl zu versöhnen, das uns oft ungreifbar scheint, und bringt uns damit ihrer Suche näher. Die Zerstreuung in der Enge und das (Wieder-)Finden im Verlorensein formen Bilder, Blickwinkel und Objekte, die die Grenzen verschwimmen lassen und so fast schwerelos im Raum schweben. »Es ist der Versuch mir die Umgebung, in der ich lebe, näher zu bringen und angenehmer zu gestalten. Im Idealfall helfe ich damit auch jemandem anderen und kann so etwas weitergeben.«