Moos und Monolith

Esther Hladik

Ein Schritt in eine Dunkelheit, die nicht nur die Augen, sondern auch die Gedanken dämpft. Kalte Luft legt sich über den Körper – ein kaum spürbares Zerren, als wolle sie fragen: Bist du sicher, dass du hierhergehörst? Die Bäume in den Wäldern von Elena Kristofor stehen dicht, ihr Geäst verschlungen wie die Gliedmaßen eines wuchernden Wesens. Hier, wo die Konturen von Raum und Zeit ausfransen, möchte man zur Orientierung Zeichen setzen: einen Pfad markieren, eine Schneise schlagen, das Dickicht kartiert zurücklassen.

Elena Kristofor, waldein, 2025
waldein, 2024, Ausstellungsansicht

Der Wald – ein narrativer Speicher, in dem Geschichten sedimentieren. Kristofors künstlerische Praxis begreift den Wald als solch ein Geflecht aus Spuren, ein Palimpsest menschlicher Einflussnahme, das bereits unzählige Einschreibungen trägt. Beinahe chiffrenartig setzt die Künstlerin darin ihre Interventionen: farbige Überformungen, performative Gesten. Die Werke – darunter etwa Entwurf eines Waldes in der Steppe (2023) und Zwischen Wind und Zeit (2021) – sind abstrakte Objektkunst, analoge Fotografie und Land-Art zugleich. Neonfarbene Holzlatten flimmern in ihnen durch das Dickicht, als irritierende Störsignale und tektonische Verschiebungen in der Wahrnehmung des Raumes. Kristofors Arbeiten machen den Wald dabei nicht zum Medium der Aneignung, sondern zur Instanz der Entgegnung. Während die Künstlerin die Nahtstellen abtastet, an denen Natur und menschliches Eingreifen aufeinandertreffen, behauptet sich der Wald immer wieder als widerständiges Gegenüber. Sein Geäst durchkreuzt nicht nur die Fotografien, sondern dringt zudem in den Ausstellungsraum ein. Die Natur ist nicht mehr nur Gegenstand der Betrachtung, sondern wird zuweilen als Hindernis körperlich erfahrbar. Denn wer den Wald betritt, betritt seit jeher einen Mythos – übertritt eine psychisch erfahrbare Schwelle, an der das Sichtbare und das Unsichtbare um Vormachtstellung ringen. Ein Schritt ins raschelnde Laub, ein Schatten, der durch das Unterholz huscht – und schon gerät das innere Gleichgewicht ins Wanken. Hinter den Bäumen, dort, wo das Dunkel sich auftürmt, wartet etwas. Oder jemand. Oder niemand.

Entwurf eines Waldes in der Steppe, In den Blick nehmen, Schlossgalerie Schärding, Ausstellungsansicht, 2023
Entwurf eines Waldes in der Steppe, In den Blick nehmen, Schlossgalerie Schärding, Ausstellungsansicht, 2023
Zwischen Wind und Zeit, 2021, Fotografie, Installation
Zwischen Wind und Zeit, 2021, analoge Fotografie, Installation

Kristofor erschafft Zonen der Verdichtung, in denen die Grenzen zwischen Abbild und Realität verwischen. Im Wald verirrt man sich nicht nur mit den Füßen, sondern auch mit den Gedanken. Und doch liegt genau hierin eine seltsame Verlockung, denn wer sich verliert, könnte sich am Ende vielleicht auch finden. Diese und andere Unsicherheiten sind es, die Elena Kristofor mit den Augen, mit dem Körper, mit eigenen Erinnerungen und emotionalen Erfahrungen zu erfassen sucht. Ihre Werke sind Erkundungen eines Raumes, der immer auch ein Möglichkeitsraum bleibt. So entstehen die bereits erwähnten Einschreibungen in die Landschaft – oder andernorts ein Verschwinden in ihr: etwa in der Ausstellungsreihe people cannot see well in fog, in der Elena Kristofor zusammen mit der Künstlerin Laura Sperl ein choreografiertes Wechselspiel zwischen Person und nebelverhangener Natur multimedial inszeniert.

Ich möchte es halten, das Verschwommene, 2022, Pigmentdruck, kaschiert, 100 x 80 cm
Ich möchte es halten, das Verschwommene, 2022, analoge Fotografie

Diese künstlerische Spannung zwischen dem Sichtbaren und dem Verborgenen durchzieht auch Kristofors Soloprojekte wie ein Leitmotiv. Wiederholt vollzieht sie einen Balanceakt an den Grenzlinien von Ordnung und Auflösung, Beherrschung und Freisetzung. In der Serie Anomalie im Raum, in der Spiegelpaneele als Interventionen in die Landschaft gesetzt werden, oder in der verspiegelten, meterhohen Stele am Zukunftshof in Wien öffnet sich erneut ein Nachdenken über Schwellenräume, in denen Materialität und Immaterialität ineinanderfließen. Schon früh im Werk von Elena Kristofor taucht der Spiegel als zentrales Element auf: nicht nur als reflektierende Oberfläche, sondern als konzeptuelle Strategie, um die Linearität der Zentralperspektive – ein wesentlicher Bestandteil der westlichen Bildtradition – ins Wanken zu bringen.

Anomalie im Raum, 2019, Pigmentdruck, kaschiert, 100 x 150 cm
Anomalie im Raum, 2019, analoge Fotografie, Installation

Positioniert entlang von Flussläufen, Wiesen oder in lichten Wäldern, operieren die Spiegelskulpturen als konzeptuelle Marker innerhalb eines größeren Diskurses, in dem Sichtbarkeit und Erkenntnis, Fragmentierung und Bedeutungsproduktion ineinandergreifen. So rücken die Arbeiten in die Nähe symbolischer Objekte. Ähnlich etwa Stanley Kubricks Monolith aus 2001: A Space Odyssey, welcher eine fundamentale Verschiebung in der Wahrnehmung und Evolution einleitet, erscheinen Kristofors Skulpturen rätselhaft, isoliert, fast überwirklich. Sie stellen wiederholt Fragen an das Medium Fotografie selbst: Was wird gezeigt, was bleibt verborgen? Mit der Serie Anomalie im Raum fragmentiert die Künstlerin die Umgebung, erschafft neue Blickachsen und visuelle Paradoxien. Die Spiegelskulpturen werden dabei zu semantischen Räumen: Sie verweisen nicht nur auf das Dahinter oder das Davor, sondern auch auf das, was fehlt – auf Leere, Abwesenheit, Möglichkeit.

Indem Elena Kristofor den Menschen in ihren Werken weitgehend ausklammert und sich auf die Natur fokussiert, entzieht sie dieser zugleich jene vermeintliche Selbstverständlichkeit, die wir ihr oft zuschreiben. Ihre Kunst zeigt: Das, was wir für gesichert halten, ist eine fragile Setzung. Jemand war hier, verdeutlichen ihre Markierungen. Jemand wird hier sein, versprechen die Spiegel. Dazwischen wuchert das Moos, verschluckt die Vergangenheit. In diesem steten Wandel entfaltet Elena Kristofor ein Dazwischen, das sich in der Landschaft, im Blick und im eigenen Standpunkt immer wieder neu verhandelt.

Esther Hladik, 2025